Neue Versorgung Ausgabe Juli 2017 - page 6

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Brennpunkt
Bundestagswahl 2017: Vorfahrt für
mehr Versorgungswettbewerb
Jürgen Stoschek
Während die Politik beklagt, dass gera-
de die Versorgung älterer Patienten
mit chronischen Erkrankungen verbes-
sert werden muss und dazu eine koor-
diniertere Betreuung nötig sei, zeigen
die Hausarzt- und Facharztverträge in
Baden-Württemberg seit fast neun
Jahren, dass und wie eine strukturierte
Versorgung erfolgreich sein kann –
zum Nutzen der Patienten und Ärzte.
Bundesweit gibt es jedoch zu wenig
Nachahmer, und es bestehen immer
noch einige Hürden. Deshalb lautete das
Credo anlässlich der Vorstellung eines
gemeinsamen Positionspapiers der Ver-
tragspartner zur Bundestagswahl: Wir
brauchen klare Signale des Gesetzgebers
für echte Alternativen zum KV-System!
„Das zentralistisch gesteuerte Kollektiv-
vertragssystem besitzt eine Monopol-
struktur, die man nicht von innen her-
aus erneuern kann – dazu braucht es wie
in anderen Branchen Konkurrenz von
außen”, so Dr. Christopher Hermann,
Vorstandsvorsitzender der AOK Ba-
den-Württemberg. „Die Krankenkassen
müssen durch die richtigen Anreize
nachhaltig dafür interessiert werden,
selektivvertragliche Alternativen zu ent-
wickeln und ihren Versicherten auf frei-
williger Basis anzubieten“, so Hermann.
Echte Alternativen zur Regel­
versorgung sind möglich
Dass die alternative Regelversorgung auf
freiwilliger Grundlage zu einer nachhal-
tigen Verbesserung der Versorgung führt,
ist durch mehrere wissenschaftliche
Evaluationen inzwischen zweifelsfrei be-
legt. Und davon profitieren vor allem die
chronisch kranken, älteren und multi-
morbiden Patienten, die eine intensive
Versorgung benötigen – derzeit 1,5 Milli-
onen Versicherte der AOK und der Bosch
BKK in Baden-Württemberg. Rund
4.000 Hausärzte sowie Kinder- und Ju-
gendärzte und über 1.700 Fachärzte und
Psychotherapeuten stellen diese bessere
Versorgung sicher. Den teilnehmenden
Praxen bieten die Verträge mit festen
Preisen und besserer Bezahlung Pla-
nungssicherheit: Eine alleinige Rückkehr
ins KV-System ist für die meisten von ih-
nen kaum vorstellbar. „Unsere langjähri-
gen gemeinsamen Anstrengungen beim
Aufbau patientenorientierter Strukturen
und besserer Arbeitsbedingungen für die
ambulante Ärzteschaft tragen auch fi-
nanziell jedes Jahr mehr Früchte“, beton-
te Hermann. „Die Investitionen in die
Verträge liegen jetzt nach einer mehrjäh-
rigen Investitionsphase merklich niedri-
ger als es die Ausgaben in der Regelver-
sorgung gewesen wären.“
HZV muss Kassenpflicht bleiben
Eine Voraussetzung für stabile Rahmen-
bedingungen ist, dass das Recht der Ver-
sicherten auf eine hausarztzentrierte
Versorgung (HZV) durch den Fortbe-
stand der Kassenpflicht zum Angebot
von Hausarztverträgen gesichert bleibt.
„Wir haben in Baden-Württemberg mit
der HZV auf freiwilliger Grundlage erst-
mals ein verbindliches Einschreibesys-
tem etabliert. Das muss nun auch im
ganzen Bundesgebiet umgesetzt wer-
den“, forderte Dr. Berthold Dietsche,
Vorsitzender des Hausärzteverbandes
Baden-Württemberg.
Rund 35 Prozent der deutschlandweit
rund 4,35 Millionen in Vollversorgungs-
verträgen eingeschriebenen Versicherten
entfallen auf den AOK-Hausarztvertrag
in Baden-Württemberg. Die schleppende
Umsetzung im übrigen Bundesgebiet
läge unter anderem daran, dass es häufig
noch ein zu starkes Beharrungsvermö-
gen einzelner Krankenkassen gibt, so
Dietsche. Deren Versicherten wüssten
oft­mals nichts von einem Hausarztver-
trag der eigenen Kasse. Das bestätigt eine
repräsentative Bevölkerungsumfrage des
Institutes Kantar TNS im Auftrag der
Vertragspartner. Mehr als 93 Prozent der
Baden-Württemberger halten die beste-
hende Verpflichtung der Krankenkassen
zu einer HZV für sinnvoll. Auch in den
übrigen Teilen der Republik sind 87 Pro-
zent der Befragten dieser Meinung. Dort
weiß jedoch nur weniger als die Hälfte
(41,5 Prozent) überhaupt, dass auch ihre
Krankenkasse einen Hausarztvertrag
anbietet – in Baden-Württemberg sind es
zwei von drei Befragten.
„Und einzelne KVen erschweren die Um-
setzung, indem sie das notwendige Berei-
nigungsverfahren auf Arztebene zum
Nachteil der ärztlichen Teilnehmer an
den Selektivverträgen durchführen.
Auch einige Anbieter von Arztinfor­ma­
tionssystemen behindern die Umset-
zung, indem sie die notwendige Vertrags-
softwarenichtodernichtvorschriftsmäßig
anbieten“, kritisierte Dietsche.
Facharztverträge sollen Pflicht
für Krankenkassen werden
Auch die bereits seit 2004 bestehenden
Möglichkeiten, Verträge zur besonderen
fachärztlichen Versorgung abzu­schlie­
Ein Wettbewerb
um eine bessere
Qualität in
der Versorgung
findet praktisch
nicht statt.
Dr. Christopher Hermann
Gerade die multi­
morbiden Patien­
ten profitieren von
der besseren
Versorgungs­
steuerung.
Dr. Berthold Dietsche
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