Neue Versorgung Ausgabe Juli 2017 - page 9

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Reportage
Hausarzt Dr. Thomas Bethke. Den Aus-
schlag für seinen Wechsel gaben zu-
nächst private Gründe, nämlich die
Lebens­partnerin, die aus Baden-Würt-
temberg stammt. Er verlässt den Speck-
gürtel Münchens und beginnt im Som-
mer im Zollernalbkreis von vorne. Der
Verkauf seiner Praxis in Gilching im
Landkreis Starnberg war für den Allge-
meinarzt kein Problem, es fand sich
rasch ein passender Interessent. In Geis-
lingen (etwa 60 Kilometer südlich von
Stuttgart) übernimmt Dr. Bethke keine
bestehende Praxis, sondern er bezieht
neue Wohn- und Praxisräume. Sein
Leistungsangebot wird dem in Gilching
ähneln; vier Helferinnen werden mitar-
beiten. Seine 14-jährige Tochter zieht
ebenfalls gerne mit, nachdem sie festge-
stellt hat, dass man auch auf der Schwä-
bischen Alb gut leben kann. Kommentar
des Arztes: „Ich freue mich.“
Die Niederlassung wird vom Land mit
bis zu 30.000 Euro gefördert. Angeboten
wird ferner die Vermittlung von Praxis-
räumen in zentraler Lage, qualifiziertem
Personal sowie „Wohnraum/günstige
städtische Bauplätze in sehr attraktiver
Lage“. Unterstützung im Zulassungsver-
fahren und in der Öffentlichkeitsarbeit
gibt es dazu. Auch die Hausarztverträge
haben den Wechsel leichtgemacht.
Bethke hält sie für günstiger als die bay-
erische Variante: Es gebe fast 20 Prozent
mehr pro Schein. Von zehn Hausärzten
in seiner Umgebung in Gilching mache
nur einer bei der bayerischen HZV mit.
Der Vertrag des Bayerischen Hausärzte-
verbandes war jahrelang durch die AOK,
der fast 50 Prozent der GKV-Versicher-
ten im Freistaat angehören, blockiert
worden. Als er bei einer Prüfung der
ärztlichen Versorgung vor Ort feststell-
te, dass er sich in Geislingen als Haus-
arzt deutlich besserstellen würde als in
Bayern, war die Entscheidung gefallen:
In Gilching mit 18.000 Einwohnern
kämpfen zehn Hausärzte um die Patien-
ten, in Geislingen mit 6.000 Einwohnern
gibt es nur einen, der die Versorgung si-
chert. „Für mich gibt es dabei kein Risi-
ko. Für alle Beteiligten ist es eine
Win-win-Situation, alle sind zufrieden“,
so Bethke. Gute Bedingungen für die ei-
gene Praxis auf dem Land. Es sei ihm
schleierhaft, sagt er, warum junge Ärzte
sich so ungern auf dem Land niederlas-
sen. Eine Erklärung dafür ist deren Her-
kunft und das Geschlecht (siehe Kasten).
Perspektive Hausarzt:
Praxis­börse und Winterschool
Seit fünf Jahren engagiert sich der Haus­
ärzteverband mit der Initiative „Pers-
pektive Hausarzt Baden-Württemberg“.
Herzstück ist eine zeitgemäße Informa-
tions- und Dialogplattform für Studie-
rende und Ärzte inWeiterbildung (www.
). Dort kön-
nen in der Stellen- und Praxisbörse auch
Ärzte auf Nachfolgersuche gehen und
sich Gemeinden und Landkreise präsen-
tieren. Ein Beispiel ist die 9.200-Einwoh-
ner-Gemeinde Dettingen an der Erms,
die im Oktober 2014 initiativ wurde –
zwölf Monate später hatte Bürgermeister
Michael Hillert so viele Anfragen, dass
alle Nachfolgen geregelt werden konn-
ten. Sein damaliger Kommentar: „Wenn
wir nochmals Bedarf hätten, dann wür-
den wir denselben Weg wieder gehen.“
Gesagt, getan: Seit Oktober 2016 sind die
Dettinger zum zweiten Mal in der Pra-
xisbörse aktiv.
Fernab des Unialltags und unter der Lei-
tung erfahrener Ärzte erleben, wie Allge-
meinmedizin in der Praxis funktioniert
– das ist die Idee hinter der Schwarzwäl-
der Winterschool Allgemeinmedizin.
Seit 2014 gibt es die Veranstaltungsreihe,
die gemeinsam mit dem Universitätskli-
nikum Freiburg ins Leben gerufen wur-
de. Teilnehmen können jeweils 24 Stu-
dierende ab dem fünften Semester aus
ganz Deutschland. „Die positive Reso-
nanz der Teilnehmer zeigt, dass die Win-
terschool den Nerv der angehenden Ärz-
te trifft, und wir das Interesse am
Hausarztberuf schon frühzeitig wecken
können“, so Prof. Dr. Wilhelm Niebling,
Leiter des Lehrbereichs Allgemeinmedi-
zin der Universität Freiburg.
Präferenzen von Studierenden –
Pluspunkte für Baden-Württemberg
In einer Untersuchung bei über 20.000 Medizinstudierenden zeigte sich – ebenso
wie bei der Wahl des Studienortes – eine ausgeprägte Heimatorientierung. Für
über die Hälfte der Befragten kam die nähere Heimatregion als Arbeitsort auf je-
den Fall infrage (52,2%), für knapp die Hälfte (49,7%) das eigene Bundesland und
für knapp ein Drittel (28,0%) auch ein anderes Bundesland. Die Heimatbindung
war am stärksten in Süddeutschland ausgeprägt (93,1%), gefolgt von den Stadt-
staaten (91,8%), Schlusslicht ist Ostdeutschland (76,7 %). Favoriten für eine mögli-
che Tätigkeit in anderen Bundesländern sind Hamburg (63,1%) vor Bayern (57,2%)
und Baden-Württemberg (55,2%). Und ländlich sozialisierte Studierende würden
häufiger auch auf dem Land leben und arbeiten – Frauen noch signifikant eher als
Männer.
Quelle: Dt. Ärzteblatt, Heft 18; 2012
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