Neue Versorgung Ausgabe Juli 2016 - page 4

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Leitartikel
Der jetzt publizierte Evaluationsbe-
richt zur Hausarztzentrierten Versor-
gung (HZV) in Baden-Württemberg
belegt den Erfolg der Kooperation von
AOK, Hausarztverband und MEDI.
Aber was sind die Erfolgsfaktoren?
Wirtschaftlicher und trotzdem besser?
Das geht nicht! – Doch, das geht! Was
vor acht Jahren zunächst als gewagte
Hypothese galt, was über lange Zeit von
strukturkonservativen Verfechtern der
einheitlichen und gemeinsamen Kol-
lektivvertragsversorgung bekämpft und
zeitweilig von maßgeblichen Gesund-
heitspolitikern der letzten Legislatur-
periode mit Hürden behindert wurde,
hat sich nun nachweislich zu einem Er-
folgsmodell entwickelt: die HZV nach
Paragraf 73b SGB V in Kombination mit
Facharztverträgen nach den Paragra-
fen 73c und neuerdings 140a SGB V der
AOK Baden-Württemberg.
Win-Win für Patienten,
Ärzte, AOK
Entstanden ist eine Win-Win-Situati-
on: für chronisch kranke Patienten, die
nachweislich besser versorgt werden, wie
Diabetiker, die weniger schwere Lang-
zeitkomplikationen haben als Patienten
gleichen Alters und mit gleicher Morbi-
ditätsstruktur in der Regelversorgung;
für Haus- und Fachärzte, die ein bes-
seres und kalkulierbares Honorar ohne
Fallzahlbegrenzung und andere Decke-
lungen erhalten und deren Berufszufrie-
denheit sich in kooperativen Strukturen
deutlich verbessert hat; schließlich die
AOK Baden-Württemberg, die 2015
unter dem Strich aufgrund vermiede-
ner Hospitalisierungen und rationaler
Arzneimitteltherapie mit 530 Millionen
Euro in Haus-und Facharztverträgen
rund 35 Millionen Euro weniger ausgibt
als in der Regelversorgung.
Nach acht Jahren liegt nun der dritte,
von den Professoren Ferdinand Gerlach
(Uni Frankfurt) und Joachim Szecsenyi
(Uni Heidelberg) erstellte Evaluations-
bericht vor. Verglichen wurden dabei
861.000 HZV-Versicherte mit 730.000
Versicherten der Regelversorgung, und
zwar alters-, geschlechts-, migrations-
und morbiditätsadjustiert.
Grundsätzlich gilt: Diese HZV-Versi-
cherten sind im Schnitt 15 Jahre älter als
der AOK-Durchschnitt, das heißt: Die
Zielgruppe der chronisch Kranken wird
erreicht. HZV-Patienten werden von
Hausärzten intensiver betreut als die
Kontrollgruppe, aber sie haben weniger
unkoordinierte
Facharztinanspruch-
nahmen. Weitere Ergebnisse für 2014:
Weniger vermeidbare Krankenhaus-
einweisungen: 15 zu 16,1 je hundert
Versicherte.
Geringere Hospitalisierungsrate: 22,2
zu 26,1 je hundert Versicherte.
Niedrigere Wiedereinweisungsrate
nach vier Wochen: 17 zu 19,2 je
hundert Versicherte.
Geringere stationärer Fallkosten:
5897 zu 6399 Euro.
Dabei ist der Gesundheitszustand der
HZV-Versicherten im Vergleich zur Kon-
trollgruppe besser: Die geringere Rate
an Komplikationen bei Diabetikern –
dialysepflichtige Nephropathie, Erblin-
dungen, Amputationen, Herzinfarkt
und Schlaganfall – zeigt dies deutlich.
Ebenso die um etwa zwei Prozentpunkte
niedrigere Hospitalisierungsrate bei
Patienten mit koronarer Herzkrankheit
oder Herzinsuffizienz. Das ist nicht zu-
letzt auch das Ergebnis wesentlich höhe-
rer Teilnahmeraten an Disease-Manage-
ment-Programmen, der intensiven und
verpflichtenden Arbeit in Qualitäts- und
Pharmakotherapiezirkeln und eine stär-
kere Orientierung an Leitlinien. Und
nicht zuletzt Effekt einer koordinierten,
an verbindlichen Diagnose- und Be-
handlungspfaden gebundenen Koope-
ration von Haus- und Fachärzten mit
klaren Arbeitsteilungen und Kommuni-
kationspflichten.
Kein Laborversuch, kein
Modell auf der grünen Wiese
Was auf der Bundesebene mit dem Posi-
tionspapier „KBV 2020“ ein wohl unrea-
listisches und überfrachtetes Fernziel ist,
das ist in Baden-Württemberg gelungen:
eine strukturierte und ressourceneffizi-
ente flächendeckende Alternativversor-
gung für eine alternde Gesellschaft.
Kein Laborversuch, kein Modell auf der
grünen Wiese. Warum ist dies in Baden-
Württemberg gelungen?
Erstens, weil gegebenes Recht, insbeson-
dere zu den Selektivverträgen konse-
quent und eigenverantwortlich genutzt
worden ist. Zweitens, weil eine große
Zahl von Vertragsärzten mit ihrer KV
massiv unzufrieden war. Drittens, weil
Hausärzteverband und MEDI gut aufge-
stellt und willens waren, als Alternative
zur KV als Vertragspartner zur Verfü-
gung zu stehen. Nicht zuletzt ist es aber
auch die Bereitschaft des AOK-Chefs Dr.
Christopher Hermann, mit langemAtem
in ambulante Versorgung zu investieren.
Eigenverantwortung und Gestaltungs-
wille haben sich hier gepaart – und das
findet man so nicht überall in der
Republik.
Strukturierte Versorgung gelingt
... man muss es nur wollen und können
Helmut Laschet
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