Neue Versorgung Ausgabe Juli 2016 - page 8

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Im Dialog
Änderungen von Dauerdiagnosen, wenn die Erkrankung
fortschreitet (z. B. Diabetes)
fehlende Komorbiditäten (z. B. Herzinsuffizienz mit Adipositas)
keine gesicherte Diagnose trotz mehrfacher Arztkontakte
(z. B. Depression mit unterschiedlichem Schweregrad)
Erfassung spezieller Diagnosen und von Unterklassifizierungen
Die Kodierung nach ICD-10 ist ver-
tragsärztliche Pflicht, erfüllt verschie-
dene Funktionen und ist somit auch
ein wichtiges Element in den Selektiv-
verträgen. Wo dennoch Knackpunkte
liegen, wie Ärzte von einer präzisen
Diagnoseverschlüsselung profitieren
können und warum die Gefahr zum
Upcoding nicht besteht, erläutern
Vertreter der Vertragspartner im Ge-
spräch.
Seit Einführung des morbiditätsorien-
tierten Risikostrukturausgleichs (Mor-
bi-RSA) im Jahr 2009 erfolgt die Mittel-
verteilung aus dem Gesundheitsfonds an
die Kassen zu Recht wesentlich anhand
des Krankheitsstatus ihrer Versicherten.
Dafür legt das Bundesversicherungsamt
– für jedes Jahr jeweils neu – 80 kosten-
intensive Krankheiten mit überdurch-
schnittlich hoher Versorgungslast fest.
Die Schwere der Krankheiten, daran ge-
koppelt die Höhe der Zuweisungen aus
dem Fonds an die Krankenkassen sowie
auch die Höhe der morbiditätsorientier-
ten Gesamtvergütung einer KV-Region,
werden unter anderem anhand der ärzt-
lichen Kodierung nach ICD-10-GM er-
mittelt.
Vertragsärzte werden gemäß Paragraf
295 SGB V dazu angehalten, auf Arbeits-
unfähigkeitsbescheinigungen und in
den Abrechnungsunterlagen Diagnosen
nach der Internationalen Klassifikation
der Krankheiten in der aktuellen Versi-
on des Deutschen Instituts für Medizi-
nische Dokumentation und Information
(DIMDI) zu verschlüsseln.
Gründe für ungenaues Kodieren
„Wir stellen in Baden-Württemberg im
Vergleich zu 2009 schon Verbesserun-
gen in der Kodiergenauigkeit fest“, kon-
statiert Jürgen Graf, Leiter Integriertes
Leistungsmanagement bei der AOK
Baden-Württemberg. „Aber: Im ver-
tragsärztlichen Bereich ist das System
noch nicht eingeschwungen.“ Von einer
korrekten Kodierung, die insbesonde-
re Komplikationen und Schweregrade
erfasse, seien die einzelnen Regionen
unterschiedlich weit entfernt. Die Folge:
Seit Einführung des Morbi-RSA fließen
mehr Mittel in die östlichen Bundeslän-
der. „Das hat natürlich mit der Versor-
gungssituation zu tun, aber eben auch
mit dem Kodierverhalten der Ärzte“, ist
Graf überzeugt. Nach Ansicht des Kas-
senmanagers könnten in diesem Punkt
verbindliche ambulante Kodierrichtlini-
en Abhilfe schaffen, die jedoch praktika-
bel ausgestaltet sein müssten, keine An-
reize zu diagnostischer Überversorgung
bieten und gleichzeitig nicht unterkom-
plex angelegt sein dürfen. Ob dies gelin-
gen wird, erscheint fraglich; vielleicht ist
ein stetiger Anpassungs- und Lernpro-
zess der Krankheitsdokumentation, wie
er etwa auch im DRG-System erfolgreich
erfolgte, wahrscheinlicher.
„In der Praxis wurde historisch eine Situ-
ation geschaffen, die einfach ungünstig
ist“, urteilt Ivo Weiß. Der Geschäftsfüh-
rer der HÄVG AG in Baden-Württem-
berg spielt auf ein Strukturproblem des
KV-Systems – Leistungsdokumentation
nach EBM neben Diagnoseverschlüsse-
lung nach ICD-10 – an. Ärzte müssen ihre
Tätigkeit nach diesen zwei Katalogen
abbilden, die keinen erkennbaren Zu-
sammenhang aufweisen. Während das
Ansetzen der Gebührenordnungspositi-
onen nach einem sich häufig ändernden
EBM vergütungsbezogen erfolgt, hat die
Verschlüsselung der Diagnosen nach
ICD-10 keinen unmittelbaren Einfluss
auf den Verdienst des Arztes und wird
eher als zusätzliche Bürokratie empfun-
den. Erschwerend kommt hinzu, dass
beide Kataloge die eigentliche ärztliche
Tätigkeit nur unzureichend abbilden.
Das führe laut Weiß dazu, dass Ärzte
Dokumentationen eher kritisch gegen-
überstehen.
Vergütung folgt Morbidität
Alle Selektivverträge von AOK und
Bosch BKK orientieren sich am konkre-
ten Versorgungsbedarf der jeweiligen
Erkrankung, der durch die korrekte
endstellige Verschlüsselung gemäß ICD-
10 erfasst werden muss. Nur unter dieser
Voraussetzung können die Kranken-
kassen das Morbiditätsrisiko de facto
übernehmen. Teilnehmende Ärzte sind
daher vertraglich verpflichtet, korrekte,
endstellig verschlüsselte Diagnosen
Richtig kodieren –
ein komplexes Dauerthema
Katja Ewers
Typische Kodierprobleme in der Praxis
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