Neue Versorgung Ausgabe Dezember 2016 - page 6

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Leitartikel
Kurs halten auch in gesundheitspoli-
tisch schwierigen Zeiten. Das haben
die Vertragspartner in den vergan-
genen acht Jahren bewiesen. Und das
muss auch für die Zukunft gelten.
Denn die Herausforderungen werden
nicht kleiner.
„Selektivverträge können die Versor-
gung der Patienten verbessern: Denn
sie bauen Brücken zwischen den Ver-
sorgungsbereichen und Fachrichtungen
und fördern die Zusammenarbeit, zum
Beispiel von Haus- und Fachärzten, im
Sinne der Patienten. Die AOK und ihre
ärztlichen Partner liefern ein sehr gu-
tes Beispiel dafür, wie die ambulante
ärztliche Versorgung gestärkt werden
kann.“ Diese Worte stammen von Her-
mann Gröhe anlässlich seines Besuches
in Stuttgart Ende 2015. Das Lob tat gut,
war aber kein Zufall!
Erinnern wir uns: Vor acht Jahren be-
gann mit dem Aufbau einer alternativen
Regelversorgung durch Hausarzt- und
Facharztverträge eine neue Ära in Ba-
den-Württemberg. Vor allen Beteiligten
lag ein langer und steiniger Weg, der
Mut, Hartnäckigkeit, Fleiß und vor al-
lem eine gemeinsame Vision erforderte.
Dieser Marathon ist noch lange nicht
vorbei. Aber das Zwischenresultat kann
sich sehen lassen. Der Vorsprung gegen-
über der KV-Versorgung wurde sogar
ausgebaut! Und erstmals ist bewiesen:
Bessere Versorgung funktioniert sogar
bei geringeren Kosten! Dies zeigt der
dritte Evaluationsbericht der Universitä-
ten Frankfurt und Heidelberg vom Juni.
Und für die große Mehrheit der insge-
samt rund 5.600 teilnehmenden Haus-
sowie Fachärzte und Psychotherapeuten
ist das zweite Standbein Selektivverträge
nicht mehr wegzudenken.
Im Herbst fiel im Fachbereich Urolo-
gie der Startschuss für den mittlerweile
fünften Facharztvertrag. Zum ersten
Mal nach § 140a SGB V – eine „Errun-
genschaft“ des 2015 hart umkämpften
GKV-Versorgungsstärkungs-Gesetzes
(VSG). Der neue Vertrag belegt auch,
dass nach dem formalen Wegfall des Pa-
ragrafen 73c weiterhin eine belastbare
Basis für den Ausbau der Selektivver-
träge besteht. Man muss es nur wollen!
2017 soll das geplante Rheuma-Modul
im Orthopädie-Vertrag anlaufen.
Qualitätswettbewerb –
quo vadis?
Schaut man auf das Bundesgebiet, so ist
von einer wettbewerblichen Erneuerung
im Gesundheitswesen immer noch nicht
viel zu sehen. Zwar haben sich erste
HZV-Verfolger mehr oder weniger frei-
willig auf den Weg gemacht. Doch das
Gros der Kassen tänzelt noch unent-
schlossen an oder hinter der Startlinie.
Liegt das auch daran, dass sich die Po-
litik bei Selektivverträgen ausgespro-
chen ambivalent verhält? Wünscht sie
sich mehr Vollversorgungsverträge nach
dem Vorbild Baden-Württembergs oder
mehr Add-on-Verträge, die einzelne
Versorgungselemente im Sinne eines
Versuchslabors testen sollen, um sie
dann schnellstmöglich in die KV-Regel-
versorgung zu überführen?
Dazu hat Dr. med. Berthold Dietsche,
Vorsitzender des Hausärzteverbandes
Baden-Württemberg, eine klare Mei-
nung: „Add-on-Verträge sind Wettbe-
werb light – echten Wettbewerb gibt es
nur, wenn echte Alternativen existieren.
Ein Hausarztvertrag nach § 73b SGB V
als Add-on-Vertrag ist deshalb ein Wi-
derspruch an sich. Von der Politik er-
warte ich primär Kontinuität, vor allem
die Beibehaltung der Kassenpflicht für
‚richtige‘ HZV-Verträge, um diese auch
bundesweit noch stärker in Gang zu
bringen.“
Kein Versuchslabor –
Verträge rechnen sich
Dr. Christopher Hermann, Vorstands-
vorsitzender der AOK Baden-Württem-
berg, sieht das genauso: „Wir waren von
Anfang an kein Versuchslabor, sondern
haben den Gesetzesrahmen genutzt, um
Versorgung umfassend neu zu gestalten.
Und wir garantieren den Versicherten,
die Versorgung benötigen, eine real bes-
sere Versorgung. Das ist alternative Re-
gelversorgung, die nach anderen Gesetz-
mäßigkeiten funktioniert, indem man
auf freiwilliger Basis das anerkannt Bes-
te gemeinsam entwickelt, verbindliche
Strukturen unter Partnern vereinbart,
und wenn Probleme auftauchen, unmit-
telbar und einvernehmlich nachsteuert.“
Nach Ansicht Hermanns können diese
Strukturen nur auf regionaler Ebene
wirklich erfolgreich sein. Das heißt aber
nicht, dass Selektivverträge nur in Ba-
den-Württemberg funktionieren.
Eine große Umsetzungshürde – die Re-
finanzierungsklausel in § 73b SGB V –
wurde bereits weggeräumt. Die HZV-
Evaluation beweist auch die Sinnhaf-
tigkeit dieser Korrektur. Nach den Be-
rechnungen der AOK wurde nach hohen
Anfangsinvestitionen, vor allem in die
IT und in die zusätzliche Arzthonorie-
rung, der sogenannte „Return on Invest-
ment“ 2013, im sechsten Jahr nach Start,
erreicht.
Bereinigung neu geordnet
Ein weiteres Hindernis – die Bereini-
gung zu Lasten von Selektivvertrags-
teilnehmern – wurde im VSG neu ge-
ordnet. Es bleibt noch abzuwarten, ob
die Umsetzung zukünftig überall so gut
funktioniert wie in Baden-Württemberg,
wo die KV die Selektivverträge unter-
stützt. Mit Freude registriert MEDI-
Chef Dr. med. Werner Baumgärtner je-
doch, dass sein Credo eines ‚geordneten
Hausarzt- und Facharztverträge –
den Vorsprung weiter ausbauen
Jürgen Stoschek
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