Neue Versorgung Ausgabe Dezember 2016 - page 10

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Im Dialog
Herr Professor Gerlach, was sind
die Gründe für diese Unterschiede?
Es gibt zwei Erklärungsansätze: Einerseits nehmen die HZV-
Ärzte infolge des HZV-Vertrages vermehrt an ausgewählten
Disease-Management-Programmen (DMP) teil. Dadurch ist
die Zahl der Patienten mit DMP-Teilnahmen höher und diese
Ärzte verfügen bereits über Erfahrungen in der strukturier-
ten Vernetzung zwischen Haus- und Fachärzten. Andererseits
zeigt sich, dass es einen unabhängigen „HZV-Effekt“ gibt.
Patienten sind enger und kontinuierlicher an den Hausarzt
gebunden, Behandlungsentscheidungen werden gemeinsam
getroffen und die HZV-Ärzte sind besser über aktuelle Leit-
linien informiert.
Lassen sich diese in der HZV erzielten Verbesserungen
auch auf die Regelversorgung übertragen?
Nein, denn die Systematik in der HZV ist eine andere und es
werden hier bewusst Anreize gesetzt und Strukturen entwi-
ckelt, die zu dem gewünschten Ergebnis führen sollen. So ist es
etwa erklärtes Ziel, mittels der HZV die „sprechende Medizin“
zu stärken, indem pauschalierte, kontaktunabhängige Vergü-
tungsbestandteile die Komplexität der Vergütung deutlich re-
duzieren und eine intensivere Beratung besonders betroffener
Patienten ermöglichen. Dies übrigens, ohne die Abbildung des
hausärztlichen Leistungsspektrums in der HZV-Vergütung
einzuengen oder zu beschränken. Die Ärzte sind auch zur re-
gelmäßigen Teilnahme an industrieunabhängigen Qualitäts-
zirkeln verpflichtet.
Diese Strukturen haben zur Folge, dass Ärzte, Praxisteams
und Patienten dabei unterstützt werden, ihr Routinehandeln
zu überdenken und dort, wo es medizinisch sinnvoll ist, zu
ändern und eingetretene Pfade zu verlassen. Einzelne Be-
standteile, wie zum Beispiel der Einsatz einer VERAH, lassen
sich sicherlich auch in der Regelversorgung umsetzen, aber
das gesamte „HZV-System“ ist eine komplexe Intervention
und so nicht ohne weiteres übertragbar.
Herr Dr. Uebel, was läuft in der HZV
besser als in der Regelversorgung?
Ein wichtiger Punkt ist dieWertschätzung, die ich als Hausarzt
durch die Kostenträger und meine Vertreter erfahre. Diese er-
lebe ich noch unmittelbarer im Kontakt mit meinen Patienten,
die sich für eine Hausarztzentrierte Versorgung entscheiden.
Punkt zwei ist das Geld: Vorher wurde ich für eine Hamsterrad-
Medizin bezahlt, jetzt bekomme ich eine bessere Vergütung,
damit ich eine vernünftige Strukturqualität anbiete. Das mer-
ken die Patienten. Sie stimmen mit den Füßen ab und zeigen
mir so, dass sie Vertrauen zu mir haben. Das macht die HZV
so wertvoll.
Was bedeutet das konkret?
Der Patient entscheidet sich ganz klar für mich als seinen
Hausarzt und ich verpflichte mich dazu, die Koordination
seiner Versorgung zu gewährleisten. Die meisten Fragen las-
sen sich bereits vor Ort klären. Für andere stelle ich Überwei-
sungen aus und bekomme von den Fachärzten entsprechende
Berichte, um deren Empfehlungen in ein übergreifendes The-
rapieregime einzupflegen. Wenn das Fachärzte sind, die ihre
Verantwortung wahrnehmen und anerkennen, dass der Haus-
arzt Entscheidungsprozesse begleitet und in ein Gesamtkon-
zept einbettet, wird daraus eine geteilte Versorgung im Sinne
des Patienten, die zu einer besseren Versorgung führen kann.
Was heißt das bezogen auf Diabetes?
Ein Beispiel hier wären sogenannte „Problemlisten“. Da stehen
auch Patienten drauf, deren Kooperationsgrad zu wünschen
übrig lässt, weil sie beispielsweise vereinbarte Termine nicht
wahrnehmen, sich aber trotzdem ins DMP eingeschrieben
haben. Dank der Teilnahme unserer meisten Patienten an der
HZV bleibt uns genug Zeit, diese Patienten aktiv anzuspre-
chen, sie werden an Termine erinnert und entsprechend un-
tersucht. Ich vermute, das machen viele der Kolleginnen und
Kollegen ähnlich. Und das erklärt dann auch die Unterschiede
etwa bei den Komplikationsraten.
Weniger Komplikationen bei Diabetes: Woran liegt es?
Die HZV-Evaluation in Baden-Württemberg ergab
erstmalig, dass Diabetikern durch die intensivere
HZV-Betreuung in drei Jahren über 1.700 schwer-
wiegende Komplikationen wie Amputationen,
Erblindungen oder Schlaganfälle erspart bleiben.
Untersucht wurden 119.000 AOK-Versicherte in den
Jahren 2011 bis 2013. Beim DEGAM-Kongress Ende
September stellten Wissenschaftler der Universität
Frankfurt Daten vor, die diese positiven Ergebnisse
auch für den Zeitraum bis 2014 bestätigen.
Das meint der Studienleiter
Das sagt der Hausarzt
Prof. Dr. med. Ferdinand M. Gerlach,
MPH, Direktor des Instituts für Allgemein-
medizin der Goethe‐Universität Frankfurt.
Dr. med. Til Uebel, niedergelassener Hausarzt,
Notarzt und Diabetologe aus Ittlingen,
Teilnehmer am AOK-Hausarztvertrag
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